Ein neuer Frühling für die Pfalz

Ein neuer Frühling für die Pfalz. Erste Ergebnisse und Perspektiven eines digitalen Urkundenprojekts 1449–1508

Organisatoren
Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe; Institut für fränkisch-pfälzische Geschichte und Landeskunde der Universität Heidelberg (Generallandesarchiv Karlsruhe)
Ausrichter
Generallandesarchiv Karlsruhe
Förderer
Deutsche Forschungsgemeinschaft
PLZ
76133
Ort
Karlsruhe
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.10.2023 - 25.10.2023
Von
Stefan Bröhl / Benjamin Torn, Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe

Während sich die Geschichte der Pfalzgrafen bei Rhein bis 1410 dank vorhandener Regestenwerke in einer größeren Breite bearbeiten lässt, verengt sich die Forschung für das 15. Jahrhundert in der Regel auf wenige Themen. Um dem vermeintlichen Herbst des Mittelalters zumindest regional einen neuen Frühling zu bescheren, begann im Frühjahr 2022 ein länderübergreifendes Erschließungsprojekt, dessen erste Ergebnisse nun im Rahmen einer Tagung vorgestellt und diskutiert wurden. Für die Vorträge konnten Projektmitarbeitende und -verantwortliche aus allen Archiven gewonnen werden, die sich an dem von der DFG geförderten Projekt „Urkunden der Pfalzgrafen bei Rhein. Erschließung, Digitalisierung und virtuelle Zusammenführung zwischen 1449 und 1508 entstandener Dokumente aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz als Themenportal im Archivportal-D“ beteiligen. Die universitäre Perspektive aus Heidelberg rahmte die Veranstaltung ein. Entsprechend dem Zuschnitt des Projekts rückte die Tagung vornehmlich die spätmittelalterliche Kurpfalz unter den beiden Kurfürsten Friedrich I. „der Siegreiche“ (1425–1476) und dessen Neffen und Adoptivsohn Philipp (1448–1508) in den Fokus.

Den Auftakt bildete BENJAMIN MÜSEGADES (Heidelberg) mit einem öffentlichen Abendvortrag, in dem er die Forschung zur Kurpfalz in die Überlieferung- und Erschließungslage einbettete. Obwohl die mittelalterliche Kurpfalz in den letzten Jahrzehnten vermehrt das Interesse der Forschung auf sich gezogen hat, bleibt diese häufig auf den Zeitraum bis 1410, dem Ende der gedruckten Pfalzgrafenregesten fokussiert. Müsegades merkte an, dass die dichte und umfangreiche Überlieferung dieses Fürstentums im Spätmittelalter besonders herausfordernd sei. Im Vergleich mit anderen – abgeschlossenen oder unvollständig gebliebenen – Regestenwerken des deutschen Südwestens zeigte er, dass sich auch die institutionellen Voraussetzungen zur Regestierung geändert haben und ein auf einer Auswahl von Beständen bestehender Ansatz vorwiegt. Ein Ausweg, das schier uferlose Material vorzustrukturieren und neue Anreize für die Forschung, insbesondere auch für universitäre Qualifikationsarbeiten, zu schaffen, besteht darin, die Regesten online zur Verfügung zu stellen. Im Fall der Pfalz wird man daher zukünftig nicht mehr gezwungen sein, „sicheren Überlieferungsinseln“ zu folgen, die zumeist auf der Hofhistoriographie Friedrichs I. oder einiger weniger herausgehobener Quellen basieren.

BENJAMIN TORN (Karlsruhe) stellte am zweiten Tag das Projekt vor und ging dabei besonders darauf ein, wie die Ergebnisse in einem eigenen kurpfälzischen Themenportal präsentiert werden, welches im Rahmen des allgemeinen Archivportals-D entsteht. Anhand einiger Beispiele illustrierte er drei zentrale Aspekte des Projekts: Erstens bietet das Themenportal einen archivübergreifenden Zugang. Zweitens erlaubt die vielfältige Themenauswahl, die durch Orts-, Personen- und Sachschlagworte vorstrukturiert wird, sowohl gezielt auf gesuchte Urkunden zuzugreifen als auch neue Themen zu entdecken. Drittens bieten die mit Normdaten der GND verknüpften Datensätze den Anschluss an weitere Projekte und Datenbanken.

GERHARD IMMLER (München) untersuchte die Rolle der Fürsten hinsichtlich ihrer Bedeutung auf dem Gebiet der öffentlichen Ordnung und Sicherheit am Beispiel der Landfriedensbünde. Zeitlich konzentrierte er sich dabei vornehmlich auf Bündnisse, die Friedrich I. von der Pfalz mit süddeutschen Fürsten schloss. Diese Einungen erwiesen sich als flexible Instrumente, um politische Handlungsoptionen zu erweitern, wobei Immler zeigte, dass eine genauere Lesart der Urkunden lohnt: Während sich manche Urkunden vordergründig als Mittel der Landsfriedenswahrung darstellten, offenbart eine detaillierte Betrachtung, dass es sich fallweise um defensive, neutrale oder offensive Bündnisse handelte. Bei Letzteren kann anhand vereinbarter Aufmarschplätze eine konkrete Stoßrichtung gegen die fränkischen Hohenzollern erkannt werden.

MARIA RITA SAGSTETTER (Amberg) illustrierte anhand des Übergangs des Fürstentums Pfalz-Mosbach-Neumarkt von Otto II. auf Philipp 1490/99, in welcher Dichte und Detailfülle hierzu Quellen vorliegen. Die Bestimmungen des Übergangs und die anschließenden Lehens- und Schutzerneuerungen lassen Philipp als einen Fürsten zutage treten, der sowohl persönlich aktiv war als auch durch Stellvertreter handelte und dabei nur teilweise erfolgreich war. So konnte er von seinem Vorgänger zwar die Reichslehen, aber nicht die Lehen des böhmischen Königs übernehmen. Sagstetter zeigte dabei auf, wie anhand der Regesten ein Ausgangspunkt geschaffen wird, weiteres Material jenseits des Projekts – zum Beispiel städtische Huldigungen und Registraturbücher – auszuwerten.

Am Beispiel der Städtepolitik beider Kurfürsten skizzierte MARTIN ARMGART (Speyer) zukünftige Forschungspotentiale. Während einige Städte bereits ausführlich exemplarisch erforscht wurden, bieten allein die 500 Urkunden aus den Landesarchiven in Speyer und Koblenz neue Möglichkeiten, die bisherigen Erkenntnisse einzuordnen und übergreifend zu analysieren. Dies betrifft Themen wie die Instrumentalisierung der Städte für den kurfürstlichen Geldbedarf, die Rolle der Kurfürsten als ordnende Landesväter, die sowohl allgemeine Stadtordnungen als auch spezielle Ordnungen erließen, aber auch ihre Rolle als Förderer der städtischen Wirtschaftskraft. Vorerst lässt sich ein deutlicher, aber stiller Wandel der kurpfälzischen Städtepolitik im 15. Jahrhundert konstatieren. Um Friedrichs und Philipps Handeln besser einzuordnen, dürfte dabei langfristig auch die Erschließung der Urkunden ihrer Vorgänger Ludwig III. und Ludwig IV. sowie die Urkunden kommunaler Archive notwendig sein.

CAROLIN SCHREIBER (Darmstadt) fragte konkret danach, wie sich die Verpfändung des Klosters Lorsch 1461/1463 von den Mainzer Erzbischöfen an die Kurfürsten von der Pfalz auf das Prämonstratenserstift selbst auswirkte. Während Urkunden aus Lorsch keinen Bezug zur Pfandschaft aufweisen, zeigen sich anhand der Person des Lorscher Propstes Veränderungen. Nach einem wohl ohne externe Einflüsse erfolgten Wechsel 1462 geriet der neue Propst in Streitigkeiten mit Angehörigen des Klosters, was es dem Pfandherrn Kurfürst Friedrich I. ermöglichte, einen mannigfaltigen Einfluss auszuüben und als Schlichter einzugreifen. Diese Rolle füllten er und sein Nachfolger auch später noch aus.

STEFAN BRÖHL (Karlsruhe) rückte mit dem Bergbau ein Themenfeld in den Vordergrund, auf dem die beiden Kurfürsten eine rege Aktivität entfalteten. Er berichtete, dass Belege über die Finanzen im Bergbau im rheinischen Teil des Fürstentums selten sind, dort wo sie aufblitzen, aber eher Notizen über Verluste und rasche Aufgaben von Gruben überwiegen. Bröhl stellte zur Debatte, ob ein wesentliches Motiv für das Engagement im Bergbau in der Konkurrenzsituation und der Hoffnung auf reiche Funde bestand, nachdem die fürstlichen Vettern und Nachbarn eine ähnliche Aktivität in den 1460er- und 1470er-Jahren in der Ordnung des Bergwesens entfalteten. Ein neuer Zugang zu Forschungen zum kurpfälzischen Bergbau wird anhand des Urkundenprojekts vor allem in prosopographischer Hinsicht erleichtert, in dem die bislang wenig untersuchte Schicht der Berggenossen, Gewerken und Spezialisten in der Kurpfalz nun besser verknüpft und erfassbar wird.

Die abschließende, von Benjamin Müsegades moderierte Roundtable-Diskussion offenbarte im Austausch mit den weiteren Tagungsteilnehmenden das zukunftsgerichtete Interesse am Themenportal und dessen Möglichkeiten. Dabei kamen Fragen danach, wie kleinerer Archive eingebunden werden können, ebenso zur Sprache wie eine grundsätzliche Diskussion darüber auf, ob neben Urkunden auch die bislang weniger gut erschlossenen seriellen Quellen eine größere Beachtung finden sollten.

Zusammen genommen illustrierten die Beiträge anschaulich, wie sich ausgehend von einer näher bestimmten Quellengattung (Immler), Einzelmomenten (Sagstetter, Schreiber) oder übergreifenden Themen (Armgart, Bröhl) mit den nun erschlossenen und aufbereiteten Quellen neue Erkenntnisse gewinnen lassen. Als Leitmotiv betonten die Vortragenden dabei, dass ihre Ausführungen einen ersten Schritt darstellen und weiterer Vergleiche und Einordnungen bedürfen. Diese werden sich erst ergeben können, wenn die Erschließung im Rahmen des Projekts und darüber hinaus weiter vorangeschritten ist. Mit dem Themenportal im Rahmen des Archivportals-D wird somit der Auftakt gelegt, sich tiefergehend mit den Pfälzer Kurfürsten und ihrem Territorium zu beschäftigen.

Konferenzübersicht:

Benjamin Müsegades (Heidelberg): Fortschritt durch Regesten? Potentiale von Forschungen zur Kurpfalz im Spätmittelalter

Moderation: Rainer Brüning (Karlsruhe)

Benjamin Torn (Karlsruhe): Urkunden der Pfalzgrafen bei Rhein 1449–1508. Ein länderübergreifendes Projekt zwischen normierten Daten und Einzelbefunden

Gerhard Immler (München): Oberdeutsche Landfriedenseinungen unter Einschluss pfälzischer und bayerischer Wittelsbacher zur Zeit der Kurfürsten Friedrich I. und Philipp

Maria Rita Sagstetter (Amberg): Kurfürst Philipp und das Neumarkter Erbe Pfalzgraf Ottos II.

Martin Armgart (Speyer): Kurpfälzische Städtepolitik – Wandel im 15. Jahrhundert?

Moderation: Andreas Neuburger (Stuttgart)

Carolin Schreiber (Darmstadt): Umbruch im Kloster Lorsch. Die Verpfändung an die Kurpfalz Mitte des 15. Jahrhunderts und die damit verbundenen Auswirkungen

Stefan Bröhl (Karlsruhe): Die Ordnung der Metalle – Bergbau und Montanunternehmer in der Kurpfalz

Zusammenfassung und Roundtable: Benjamin Müsegades (Heidelberg)

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